Gastbeitrag: Manfred Schreiber – Kopierer, Emotionen, Kaffeeküche

Gastbeitrag: Manfred Schreiber – Kopierer, Emotionen, Kaffeeküche

Verehrte Leser, liebe Ahrensburger und solche, die es einmal waren, bzw. werden wollen! Ich freue mich enorm darüber, euch heute einen ganz besonderen Gastbeitrag zu präsentieren. Manfred Schreiber, freier Autor und Kurzfilmer, verbrachte einige Jahre seiner Jugend in Ahrensburg und ist nun zurück. In diesem ersten Text für den Ahrensburg Blog, schildert er seine ganz persönlichen Erinnerungen an eine Kneipe mit Namen Schierhorn und Kopiervorgänge im Hause Nessler. Aber lest einfach selbst!

Manfred Schreiber: Kopierer, Emotionen, Kaffeeküche

Große Straße 29 in Ahrenburg in den 90er Jahren und heute – Fotos: E. Stahmer/privatbesitz, Nicole Schmidt
Große Straße 29 in Ahrenburg in den 90er Jahren und heute – Fotos: E. Stamer/privatbesitz, Nicole Schmidt

In einer Zeit, wo in Ahrensburg Handys noch aussahen wie gelbe Häuschen mit Tür, Glücksspielmünzeinwurf und Duschkopf, nicht jeder Geschirrspüler über WLAN verfügte, Hobbyautoren schleichend von mechanischer Schreibmaschine zur C-64-Textverarbeitung wechselten – da lag meine erste Junggesellenbude über dem Schierhorn, Große Strasse 29.

Eigenhändig fabriziert wurden dort oben literarische Blockbusterköstlichkeiten – zumindest betitelte so der Künstler selbst hausgemachte Pamphlete. Analoge Follower hielten sich eher in Grenzen. Schierhorn – urig, da zu hausen. „…und ganz früher war mal ein Kino hinten drin“, hörte ich die Älteren schwelgen.

Der Nadeldrucker röhrte, spuckte stotternd verschmierte Originale aus – sei es nun meine Version vom Drehbuch „Die Regentrude“ (Klassikerrechte waren ganz gut zu kriegen, damals schon) oder das Exposé „Korngolds Epilog“ (halbsurreales Epos über eine Rüstungsindustriellendynastie – Hauptrolle reserviert für Armin Mueller-Stahl).

Kopien für Armin Mueller-Stahl

Um dieses Projekt anzugehen brauchte ich frische DIN-A-4-Kopien – Mueller-Stahl würde ganz sicher ein Exemplar zugeschickt bekommen, seine Adresse in Sierksdorf hatte ich längst recherchiert. „Yes, endlich mal ne Rolle mit Tiefgang!“, würde der rufen.

Schreibers favorisierte Rolltreppe führte ganz hinauf: Schauland – tonnenweise Filmmusik-CDs erwarb ich dort, legal. Freie Autoren schätzten Nessler aber auch, weil eben nur hier das einzige Kopiergerät weit und breit zu finden war. Zuvor galt es, den anspruchsvollen Hindersnisparcours aus Klamottentischen unbeschadet zu überwinden – und schwupps reihte man sich in die Schlange ein.

Selbstverständlich war der Kopierer besetzt von Leuten, die es sicher nicht so dringend hatten wie ein verkanntes Autorengenie. Im Wartefall die verschiedenen Gemütskategorien der kopierenden Mitbenutzer analysieren – und vor allem: Selbst Ruhe bewahren, bevor man den Stecker zieht.

Kaufhaus Nessler in Ahrensburg, 1979
Das Kaufhaus Nessler im Jahr 1979

Drei Charaktere am Kopierer

Hier nur die drei häufigsten Fallbeispiele aus der Enzyklopädie des typischen Kopiergerät-Besatzers:

  • DER DRÄNGLER

    Ein handfester Kontrahent. Drangsalierend, schubsend tritt diese ausserirdische Lebensform logischer Weise erst auf den Plan, wenn man es tatsächlich selbst geschafft hat, eigene Unterlagen unter der leuchtenden Klappe zu platzieren.

    Das rüde Auftreten wird von übertriebener Atmung untermauert: Unkontrolliertes Schnaufen hat man hinterrücks wahrzunehmen. Devise hierbei – machen, dass man so schnell wie möglich ein wohlwollendes, aufmunterndes „Na, Sie hamm´ ja viel mehr – ich lass Sie besser mal vor!“ herausbringt.

    In den häufigsten Fällen erspart man sich knapp durch diese Notkonversation einen tätlichen Angriff. Schon recht unangenehm, dieser Zeitgenosse, denn Pazifismus war und ist hier in der Schlange, sie zieht sich bis zum Haupteingang, nie seine Sache.

  • DAS ALTE MÜTTERCHEN

    Stets von besonderer Präsenz. Kaum vermag sie über den Deckel des Kopiergerätes hinweg zu schauen. Ihr Leiden, hinsichtlich des unabdingbaren Scheiterns an technischer Revolution äußert sich darin, jähzornig Groll über die von ihr beabsichtigten, aber nicht eingetretenen Arbeitsvorgänge des Kopierers zügellos kund zu tun.

    Auch wenn eine Fehlanpassung des Schriftstücks und somit rein gar kein mechanisches Fremdverschulden vorliegt. Hilflos und gänzlich unbewandert mit handelsüblichem Hightechfirlefanz brabbelt sie undefinierbare Antik-Fluch-Codes vor sich hin – ähnlich einem Hundefrauchen, welche mit ihrem Tier diskutiert wie mit einem redseligen Talkmaster.

    Und wehe der Fehler im System stellt sich lediglich durch nicht neu aufgefüllten Papiervorrat dar. Mit kaum verwertbaren Wortbeiträgen bodenloser Verwunderung wird herbei gekrächzter Verkäuferin aus der Uhren- und Schmuckabteilung das komplette Leid geklagt.

    Diese nicht unhilfsbereite Angeflehte verweist erfahrungsgemäß dann auf ihre (zuständige) Kollegin aus garantiert brummender Schreibwarenabteilung. Heute hat der Geschäftsführer noch mal Glück – wäre es nicht so, hätte das alte Mütterchen Hausdetektiv-Legionen bemüht, um seinen Drang nach einer Kopie vom Illustriertenrezept zu tilgen.

  • DER EXPERTE

    Er legt stoisch-penetrantes Gutachtergehabe an den verkaufsoffenen Tag. Ihm gehöre die Welt, dazu Stormarn, dieses Kaufhaus, sowie nicht enden wollende, grobe Experimente, die offensichtliches Fehlverhalten unbezwingbarer Maschine entblößen sollen – und nicht zuletzt:

    Der Mut des Gewieften. Mit schwerem Gerät heimischer Werkbank versucht unser Experte, grobschlächtig wehrlose Technik zu besiegen, malträtiert jedoch häufig bislang nicht betroffene Bauteile. Bis ihm infernal auffällt, dass eine Kopie doch 30 und nicht 10 Pfennig kostet kann wertvolle Zeit ins Land gehen.

Große Pläne für die Schierhorn-Kneipe

Die Schierhorn-Kneipe im Jahr 2004 vor dem Abriss – Foto: E. Stahmer/Privatarchiv
Die Schierhorn-Kneipe im Jahr 2004 vor dem Abriss – Foto: E. Stamer/Privatarchiv

Merkwürdig waren sie ja alle, ob vor oder hinter mir in der Schlange – jedes Mal ein bissl Roulette. Später tütete ich das kopierte Exposé wirklich noch ein und stapfte durch original-verschneite Hagener-Allee-Kulissen zur antiken Postfiliale: Na, guck, auch dort konnte man Kopien ziehen – diese Stadt war das feinste Buchdruck-Eldorado. Mein Brief mit sprühender Filmidee also direkt unterwegs nach Sierksdorf – volles Risiko.

Längst geplant war es die Schierhorn-Kneipe zu kaufen, um dort eine Filmproduktionsfirma rein zu bauen, alles unter einer Haube: Drehbuchhandwerker, Kameraleute, Cutter, Experten für Spezialeffekte. Und, logo, Kaffeeküche – komplette Ladung made in Ahrensburg.

Noch etwas später liess Mueller-Stahl schriftlich ausrichten, „er sei dann auch nach USA verzogen“. Ja, schade. Angebot steht. Zwar haben böse Bagger mein Schierhorn längst platt gemacht – jedoch, Ersatzkopien sind gesichert.

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Der Autor:

Manfred Schreiber (*15.02.1971) in Bremen, freier Autor und Kurzfilmer. Kam mit fünfzehn in die Stadt. Seit kurzem lebt er wieder hier und meint: „Wenn ich zurück nach Ahrensburg komme ist es immer so wie für Marty McFly in seinem Hill Valley.“ – Weitere Informationen unter manfredschreiber.com

Manfred Schreiber gestern und heute
Manfred Schreiber damals und heute, die Kneipe ist längst Historie
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